Foto: she-medien.de

Zwischen Himmel und Erde: Marktplatzgestaltung

Nachricht 27. Mai 2024
Der Marktplatz heute | Foto: Sylvia Hartje, 2023

Studierende der Leibniz Universität entwickelten landschaftsarchitektonische Ideen für eine Gestaltung des Platzes an der Marktkirche

Der Marktplatz zwischen der evangelischen Hauptkirche St. Georgii et Jacobi und dem Alten Rathaus ist die Keimzelle unserer Stadt. Jahrhundertelang war er ein Zentrum von Handel, Religion und Rechtsprechung. Später verlagerte sich Hannovers kommerzielles Zentrum zum Kröpcke und spätestens seit der großflächigen Umgestaltung der Stadt nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs verschwand der Marktplatz nach und nach aus dem Fokus der Stadtbewohner.

Sechs Studierende des Instituts für Landschaftsarchitektur der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover haben sich im Wintersemester 2023/24 die Frage gestellt, wie der Platz wieder zu einem attraktiven, lebhaften Ort werden könnte. Unterstützt und gefördert durch den Kirchenvorstand der Marktkirche informierten sie sich über die Geschichte der Stadt und der Kirche, durchstreiften das Gebäude von den Fundamenten bis hoch in die Turmspitze und erforschten die spirituelle Ausstrahlung der Kirche.

Betreut durch Prof. Christian Werthmann und Dipl. Ing. Thomas Göbel-Groß entstanden daraus fünf Modelle, die den gesamten Raum um die Marktkirche herum einbezogen und dort Verkehrswege, Nutzungsflächen, touristische Sichtachsen, Stadtklima und Klimaresilienz und die großen Veranstaltungen wie Wochenmarkt und Weihnachtsmarkt ebenso berücksichtigen, wie die berechtigten Interessen der Anlieger.

Aus dem Abschlussbericht der Projektgruppe „…wurde klar, dass der Kirchenplatz derzeit hauptsächlich für den Transit genutzt wird. Fehlende Unterstell- und Sitzmöglichkeiten machen ihn gerade bei Regenwetter unwirtlich. Als sehr offen gestalteter Platz bietet er außerdem viel Raum für den Wind. Die spärliche Bepflanzung verstärkt diesen Effekt.“ und „Eine große Herausforderung ist es also einen Platz zu erschaffen, der sich dem Treiben nicht in den Weg stellt, aber den Menschen Möglichkeiten gibt, den Platz neu zu erleben.“

Die ganz unterschiedlichen, kreativen und durchweg gelungenen Entwürfe können hier leider nur gekürzt vorgestellt werden:

Ein Ort, zwei Plätze (Afshin Taheri)

Taheri, Lageplan | Foto: Sylvia Hartje

Der Abschnitt nördlich der Marktkirche wurde als Querungszone für Fußgänger konzipiert. Hier dominieren linienförmige Bänke, Staudenbeete und kunstvolle Pflasterintarsien, die angenehme Aufenthaltsorte schaffen. Eine einladende Lindenallee setzt hierbei den perfekten Akzent und bildet im Sommer einen kühlen, schattigen Rückzugsort.

Für den Abschnitt südlich der Kirche ist Barrierefreiheit oberste Priorität, um die Multifunktionalität des Platzes zu maximieren. Neben der Rolle als Durchquerungszone fungiert dieser Bereich als lebendige Veranstaltungsfläche und gemütlicher Verweilbereich. Drei kunstvoll gestaltete Beete mit Sitzbänken und majestätischen Platanen bieten Schatten und laden zum Verweilen ein. Ein ebenerdiges Wasserspiel mit Wassernebelfunktion bringt nicht nur erfrischende Freude für Kinder, sondern trägt auch zur angenehmen Kühlung des Platzes bei. Die Beete dienen zudem als Entwässerungszonen für Regenwasser. Die Platanen auf der Südseite wirken zudem als grüne Verbindung zu den umliegenden Bereichen des Platzes der Weltausstellung, Osterstraße und Marktstraße. Diese grüne Vernetzung schafft eine harmonische Symbiose zwischen den verschiedenen Grünflächen und verstärkt die ökologische Nachhaltigkeit des gesamten Platzes.

Heiliger Geist (Anastasia Batschkowski)

Batschkowski, Modelldetail | Foto: Sylvia Hartje

Der Entwurf hat das Ziel, die Marktkirche als das identitätsstiftende Merkmal des Platzes hervorzuheben: Was sich im Inneren der Kirche abspielt, soll symbolisch nach außen übertragen werden.

Der Bodenbelag verweist symbolisch auf den Heiligen Geist, der von der Kirche auf den Platz ausgeht. Um dies baulich umzusetzen, wurde um die Marktkirche herum eine ellipsenförmige Umrandung aus Granitstein gelegt. An deren Außenkante sind Strahlen mit variabler Länge und Abständen aus demselben Granitstein verlegt. Ausgewählte Strahlen enthalten dazu eine Lichtleiste. Außerdem sind auf dem Platz zwei lange, gebogene Sitzmauern installiert, die sich in Farbe und Form dem Bodenbelag anpassen.

Bestehendes galt es zu erhalten oder weiterzuentwickeln. Zu den fünf Bestandsbäumen kamen lediglich zwei Neupflanzungen derselben Art hinzu. Der Oberflächenbelag der Schmiedestraße setzt sich auf dem Platz weiter fort. Das Lutherdenkmal wurde vor das Reformationsfenster der Marktkirche gesetzt.

Als Ergebnis hat der Besucher freie Sicht auf den Platz, welcher nun nicht mehr im Kontrast mit der angrenzenden Schmiedestraße steht. Diese Eigenschaft ist wichtig, um den Platz in der Raumwahrnehmung größer und bedeutender erscheinen zu lassen.

Im Strom der Intuition (Nils Glenewinkel)

Glenewinkel, Lageplan | Foto aus dem Projektbericht

Der Entwurf folgt dem Ansatz, dass sich der Mensch durch die Stadt bewegt, so wie das Wasser sich über das Land bewegt. Die Stadt formt sich nach den Handlungen und Bedürfnissen der Menschen, doch anders herum beeinflusst die Stadt auch die Handlungen und das Verhalten der Menschen.

Das markante gestalterische Element dieses Platzkonzeptes sind die in sanften Konkaven aus dem Boden ragenden, steinernen Dünen. Diese befinden sich nördlich und südlich der Kirche und fügen sich in Form und Größe unauffällig in die Gestalt des gesamten Markplatzes ein. Sie geben dem Platz das Potential, auf interaktive Weise, z.B. durch Skateboardfahren, genutzt zu werden. Des Weiteren sind sie Aufenthaltsflächen, die durch Gehölze und Beete einen geschützten Charakter besitzen. Organisch wirkende, unterschiedlich hohe Laternen beleuchten den Platz nicht nur bei Nacht, sondern illuminieren ihn je nach Anlass auf verschiedene Art.

Einer der wichtigsten Aspekte der Marktplatzgestaltung liegt darin, dass es genug Freiraum für Märkte, Kundgebungen und andere Veranstaltungen gibt.

Die fünf Elemente (Juliet Apollonia Lehmann)

Lehmann, Detail Sitzgelegenheiten | Foto: Sylvia Hartje

Die Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde werden wie bei einem vierblättrigen Kleeblatt durch eine klimagerechte Vegetation miteinander verbunden. Die Marktkirche befindet sich in der Mitte des Platzes und steht für das fünfte Element: den Heiligen Geist.

Das Element Wasser wird durch zwei Wasserflächen auf der Südseite der Marktkirche dargestellt: Die Fläche beim Marktbrunnen wird durch unterschiedliche Fontänen belebt, auf der Fläche neben dem Lutherdenkmal wurden dezent einige Windspiele aufgestellt, die für das Element Luft stehen. Überschüssiges Wasser aus den Flächen wird zur Bewässerung der Bäume genutzt. Neben dem Lutherdenkmal befindet sich das neue Café am Denkmal. Hierher wird die Pizzabude von der Nordseite versetzt. In diesem Bereich steht der soziale Aspekt im Fokus, wodurch Begegnung und multifunktionale Nutzung gefördert werden.

Der Bereich nördlich der Marktkirche symbolisiert das Feuer, dort stehen vier Bänke mit einer hellen integrierten Beleuchtung. Zusammen mit den neuen Laternen illuminieren diese Leuchtbänke den Platz um die Kirche auf besondere Weise. Insektenfreundliche Blumenbeete mit Bäumen umrahmen die Bänke. Das Element Erde steht für die klimagerechte Vegetation. Dazu gehören unter anderen: Weidenblättrige Birne (Pyrus salicifolia), Italienischer Ahorn (Aceropalus), Blumen-Esche (Fraxinus ornus).

Der Paradiesgarten (Paula Kuklinski und Lara-Josephine Salow)

Kuklinski/Salow, Gesamtansicht | Foto aus dem Projektbericht

Historisch war die Kirche von einem Friedhof umgeben, der ca. 1m über dem heutigen Platzniveau lag. Die ursprüngliche Kontur des Friedhofes wird mit lackierten Travertin-Platten und LED-Streifen auf dem Boden nachgezeichnet. Sie bildet einen informativen Rundweg um die Kirche, in dem zwischen den Steinen Tafeln mit historischen Informationen eingelassen sind.

Unabhängig von dieser Kontur erhebt sich eine niedrige Mauer aus dem Bodenniveau und formt einen dreieckigen Paradiesgarten. Die Pflanzen darin, angeordnet in fotogenen Beeten, haben Bezüge zum historischen Standort oder werden in der Bibel erwähnt. Die Mauer bietet Sitzgelegenheiten um die Marktkirche herum. Weitere Bänke innerhalb des Paradiesgartens laden zum Verweilen ein.

Auf dem östlichen Teil des Platzes wird der Pflastergrund der Schmiedestraße fortgesetzt und durch einen lichten, gut zu durchfahrenden Hain beschattet. Eine große Vielfalt von Bäumen, Blattfärbungen, Blüten und auch Blattabwurfzeiten verdeutlichen die Vielfalt der Menschen, die diesen Platz nutzen. Auf dem westlichen Teil wurde der rote Ziegelgrund – wenngleich ohne Rastermuster - erhalten.

Die vorhandenen Statuen wurden beide minimal umgestellt: Die Lutherstatue steht in der Nähe des Reformationsfensters. Senior Bödeker, ehemals Pastor der Marktkirche und Wohltäter der Stadt Hannover, ist so positioniert, dass er die Menschen am behindertengerechten Eingang der Kirche mit seinem ausgestreckten Arm willkommen heißt.

Fazit der Studierenden

„Die Herausforderung, dem Platz eine neue Gestalt zu geben, um seine Attraktivität zu steigern, ist sehr komplex. Die Projektgruppe wollte die aktuelle Funktion des Platzes so wenig wie möglich beeinträchtigen und trotzdem etwas Neues erschaffen. Durch die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde konnten Entwürfe geschaffen werden, die als Ideenpool genutzt werden können. Man sollte die Entwürfe also nicht als alleinstehende Werke sehen, sondern das Projekt “Zwischen Himmel und Erde” und seine Ergebnisse als Gesamtwerk betrachten. Dieses Gesamtwerk legt den Grundstein für weitere Projekte, die auf dieser Arbeit aufbauen sollen und sich an den hier erarbeiteten Ideen orientieren können.“

Wir danken den Studierenden für ihre Ideen und Gestaltungsfreude!

 

Sylvia Hartje, Kirchenvorstand

Mit freundlicher Genehmigung der Autor*innen wurden Texte, Textbausteine und Bilder aus der Projektdokumentation „Zwischen Himmel und Erde - Platzgestaltung an der Marktkirche Hannover, Bachelor Vertiefungsprojekt, Winter 2023 / 24“ entnommen.