Von Konstanze Beckedorf, Dezernentin für Kultur, Herrenhäuser Gärten und Sport und Mitglied im Kirchenvorstand der Marktkirchengemeinde
Das Kirchenpatronat für die Marktkirche auszuüben, stellt die Patronin oder den Patron in eine lange Reihe illustrer Persönlichkeiten. Die Schirmherrschaft, die im frühen Mittelalter von den Grafen von Roden ausgeübt wurde, ging Mitte des 14. Jahrhunderts auf die welfischen Herzöge über. Sie bedeutete Schutz und Schirm und war in erster Linie ein Herrschaftsrecht. Im Falle eines Kirchenpatronats hieß dies vor allem, ein gewichtiges, meist das entscheidende Wort in der Frage der Besetzung von Kirchenstellen zu sprechen. Der präsentationsberechtigte Patron schlug ihm als geeignet erscheinende Kandidaten vor und macht sich auf diese Weise deren meist adlige Familien gewogen. Für die Besoldung der Pfarrer wurden die Ausstattung einer Kirche in Form von Land- und Immobilienbesitz oder Einnahmen (z. B. Pacht) verwendet. Weil es nur einen „richtigen“ Glauben gab, übten Laien im Mittelalter auf diese Weise Einfluss auf die Kirchen aus, ohne dabei in zu große Diskrepanz zur offiziellen Kirchenpolitik zu treten.
Erst mit der Reformation, als sich z. B. die Einwohner von Hannover mit ihrem katholischen Herzog Erich I. von Braunschweig-Lüneburg hinsichtlich des neuen Glaubens und der Rechte und Pflichten an den Kirchen auseinandersetzen mussten, veränderte sich dies. Dem Rat wurde schnell deutlich, dass er die Patronatsrechte dringend gewinnen musste. Trotzdem dauerte es gut 40 Jahre, bis Bürgermeister und Kämmerer eine Belehnung durch Erich II. von Braunschweig-Lüneburg erlangten. Für die förmliche Übertragung zahlte die Stadt immerhin 4.000 Goldgulden. Im Kämmereiregister von 1574 heißt es: „Dem Landesfürsten unserm gnedigen Hern gegen die gnedige belehnung der beiden pfarren Egidii und Georgii erlegt 4.000 Goltfl.[Florin]“. In den folgenden Jahrhunderten musste sich der Rat diese Rechte von jedem neuen Herzog und ab 1714 von den britisch-hannoverschen Königen immer wieder neu bestätigen lassen. Von Herzog Friedrich Ulrich, der die Lehnsurkunde 1615 für den Bürgermeister Müller und den Kämmerer Evers ausstellen ließ, bis zu Georg III. im Jahre 1764 sind diese Urkunden noch heute im Stadtarchiv zu bewundern. Mit Erstaunen liest man über die aus „Affection und Zuneigung“ übertragenen Rechte an „Gerechtigkeiten, Pertinentien und Einkommen, an Ländereien, Meyerhöfen, Wiesen, Fischereyen, Gärten“, die detailliert beschrieben sind: Unter anderem werden in der Urkunde „Sechzig Schweine zu voller Mast, und zu halber Mast dreißig Schweine … item vier Scheffel Rocken, vier Scheffel Gersten“ aufgeführt.
Mit der Übertragung des Patronats konnte der Rat nun selbst Empfehlungen für die Prediger und weitere Stellen aussprechen, diese mit sog. „Ratsverwandten“ besetzen und über die Einnahmen aus dem Kircheneigentum verfügen. Daneben hatte er selbstverständlich für den Kirchenbau und die Ausstattung Sorge zu tragen. Aus dem Stadtsäckel wurden z. B. zum 200-jährigen Reformationsjubiläum 1733 nicht nur Malerarbeiten finanziert, sondern außerdem die Orgel renoviert und vergrößert. Aus dem 20. Jahrhundert stammen Akten wie der Brief des Stadtsuperintendenten Flügge vom 20. März 1968 an die „Landeshauptstadt Hannover Abt. Sonderbauten durch den Patronatsvertreter Stadtschulrat Dr. Harde“ mit der Bitte, die „Kosten auf Grund des Patronatsrechtes“ für einen vom Kirchenvorstand beschlossenen, dringend notwendigen Instandhaltungsanstrich der Stahlkonstruktion im Turm der Marktkirche zu übernehmen.
Heute lebt das Patronat besonders durch die enge Zusammenarbeit der Landeshauptstadt Hannover mit der Marktkirchengemeinde, z.B. im Bereich der Arbeit für die wohnungs- und obdachlosen Menschen in unserer Stadt oder kultureller Angebote. Als Patronatsvertreterin bin ich Mitglied im Kirchenvorstand. Dadurch bin ich in die Arbeit der Marktkirchengemeinde direkt eingebunden und darf sie auch mitgestalten. So wird das Patronat heute sehr gleichberechtigt und partizipativ gelebt, bis hin dazu, dass ich auch in den Gottesdiensten aktiv als Lektorin eingebunden bin. Dies erfüllt mich mit besonderer Freude, dokumentiert es doch die gelebte Verbindung zwischen dem Patron Landeshauptstadt und der Marktkirchengemeinde.
Hannover, im Mai 2021